Time goes by
Magic Christian sagte unlängst in einem Interview (Magie, 02/2019): “Es hat sich viel geändert. Karten sind inzwischen günstig zu haben, auf Youtube erklären Dir in Tutorials Achtjährige, wie man einen Emsley-Count ausführt oder wie eine Drehkarte funktioniert. Aber wenn es falsch gelehrt wird ist es ein Schaden.” Das Problem sehe ich genauso. Und obwohl seit Jahren beobachtet werden kann wie die eigentliche Zauberszene immer mehr an Attraktivität für jüngere verliert und selbsternannte Zauberlehrer auf Youtube Hochkonjunktur feiern, scheint es keinerlei erkannbare Anstrengung zu geben hier entgegenwirken zu wollen. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit etwas zu tun? Wie kommt man dagegen an, wenn Neulingen im Web der “World best Card Trick” inklusive Erklärung versprochen wird?
Ein viertel Jahrhundert ist es mittlerweile her, dass ich mich begonnen habe mit der Zauberei zu beschäftigen. Eine Jahrhunderte alte Kunst, bei der sich trotz alledem gerade in den letzten Jahren viel verändert hat. Spricht man mit älteren Zauberkollegen wird einem von einer ganz anderen Zauberszene berichtet als ich sie in meinen Anfängen erlebt habe. Von Zaubergeschäften, die einem Dinge einfach nicht verkauft haben wenn sie der Ansicht waren, dass du nicht gut genug bist. Von der Notwendigkeit sich einen Zauberlehrer zu suchen und diesen zu bezahlen, damit man überhaupt irgendetwas erfährt. Oder auch von der Selbstverständlichkeit in eine Zauberklub zu gehen um bei einem Zauberkongress teilnehmen und dort sein Geld lassen zu können. Klischees von alten bärtigen Männern die in den Klubs die Aufnahmsprüfung abnehmen scheint es wirklich gegeben zu haben.
Da hatte ich es bereits wesentlich einfacher. Auch wenn es noch in vielen Dingen große Unterschiede zu heute gab. War es für mich noch normal, in Zeiten vor Internet, zuerst mal in ein Zaubergeschäft zu gehen und mir dort einen Katalog zu kaufen um zu sehen was es überhaupt alles gibt. Im Katalog fand man dann eine kleine Zeichnung, ein paar Sätze dazu und den Preis. Dabei waren viele Produkte die es so noch heute gibt noch deutlich teurer. Mit einer Liste ging man dann ins Geschäft und zu sehen was davon überhaupt wirklich lagernd ist. Und dann kaufte man sich so Dinge wie zwei Gummiringe mit Beschreibung um das Geheimnis der Crazy Mans Handcuffs zu erfahren.
Das alles ist heute Schnee von gestern. Möchte ein Einsteiger heute wissen, wie das mit den Gummiringen funktioniert dreht er sich Youtube auf. Bequem auf dem Sofa mit dem Handy. Vollkommen kostenlose. Und möchte man richtige professionelle Anleitung gibt es die DVDs von Joe Rindfleisch, oder Dan Harlan für ein paar Dollar nur wenige Klicks weiter. Direkt aufs Handy am Sofa.
Da stellt sich die Frage, werde die Strukturen von früher heute überhaupt noch benötigt? Das Modell der alten großen Kongresse hat schon lange ausgedient und nur mehr zeitweise wird mit mehr oder weniger viel Anstrengung versucht das ganze wieder für einen kurzen Moment aufleben zu lassen. Vor allem für die, die es noch von früher kennen. Längst sind aber auch andere Events dabei die Welt der Zauberbegeisterten zu erobern. Händler und Produzenten formieren sich zu kleine Messen mit Produktpräsentation bei quasi freien Eintritt (siehe Magic Road Show), neue Show-Wettbewerbskonzepte erreichen mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit als die alle offiziellen Wettbewerbe der Zauberszene der letzten 20 Jahre (siehe Magic Slam) und Seminare finden nun auch schon seit einem halben Jahrzehnt online statt. Zwei mal pro Monat top Künstler und das alles um den Preis eines Kartenspieles (siehe Live Lecture).
Im September 2018 hab eich eine kleine Umfrage gestartet in der Ihr einige vorgeschlagene Dinge auswählen konntet, die Euch bei einem Zauberklub wichtig sind (siehe Umfrage – Der Zauberklub von morgen). An erste stelle ist der Wunsch nach regelmäßigen Treffen gelandet. Sich zu bestimmten Zeiten, regelmäßig zu treffen ist mit Sicherheit auch etwas, dass man mit einem Klub optimal organisieren kann. Und es zeigt eines – der Wunsch, sich tatsächlich zu treffen und sich nicht einfach “nur” über diversen Webkanäle auszutauschen ist nach wie vor da. 73% gaben allerdings auch an, dass ihnen eine gute nationale Vernetzung wichtig ist. Vernetzt sein, dass kann auf zwei Arten funktionieren. Die eine ist es verschiedene Events zu haben auf denen man sich auch klubübergreifend, beziehungsweise auch ohne Klubzugehörigkeit treffen kann. Die andere Variante ist es dazu unterschiedliche Medien, heute vor allem Webkanäle zu verwenden.
Und hier zeigen sich bereits die ersten Schwächen der klassischen Zauberszene. Große wie kleine Events sind über die Jahre immer mehr zurück gegangen. Die Konzepte der ehemals großen Kongresse gehen wie schon erwähnt immer weniger auf und sind mit einem immer größeren Risiko verknüpft. Dazu kommt das immer höher werdende Durchschnittsalter in den Klbus, dass immer mehr Richtung Pensionsalter geht. Die jungen, motivierten, zauberbegeisterten Organisatoren von früher gibt es zwar noch, nur halt ein paar Jährchen älter. Die gute Nachricht allerdings ist, es gibt sie noch und sogar ein paar neue Junge sind dabei. Und es würde gar nicht viel brauchen um den ganzen Leben einzuhauchen. Denn große, teure Events sind sowieso weder zeitgemäß noch zielführend. Kleine, lokale, originelle Events mit günstigen Eintritt wäre hier aus meiner Sicht notwendig. Diese sind einfach zu organisieren, führen wieder zu mehr Aktivität und werden zu Schnittstellen, beziehungsweise Orte der Vernetzung. Solange man dabei den Fokus nicht auf die Speisekarte und die Landschaft rundherum, sondern aufs Magische legt, können diese auch wieder Schnittstellen sein, die junge Nachwuchskünstler besuchen. Events, die ihnen das Gefühl geben hier passiert was, das auch für sie ausgerichtet ist. Events, bei denen sie selbst aktiv mitmachen wollen und das in der Zukunft auch können und werden. Und damit die Zauberszene wieder mehr leben bekommt, sind nur ein Bruchteil der hunderten, oder vielleicht sogar tausenden notwendig die hier tagtäglich vor Youtube & Co. sitzen. 46 von 60 gaben bei der Umfrage übrigens an, sie hätten gerne Seminare von Künstlern aus der Region. Eine Idee, die mittlerweile auch seit einem halben Jahrzehnt in der Trickbox immer wieder gerne angenommen wird. Und möglicherweise der erste Ansatz für Events, die in jedem Klub durchführbar wären?…
Vernetzung über Webkanäle läuft in unseren Breitengraden vollkommen an der Zauberszene vorbei. Auch hier trägt selbstverständlich das hohe Durchschnittsalter seinen Teil dazu bei. Damit verbunden auch oft fehlendes Wissen und eine erhöhte Skepsis gegenüber vielen neuen Medien. Viel Energie wird in gedruckte Medien gesteckt, die häufig über aktuelle Themen viele Wochen später berichten nachdem sie stattgefunden haben. Teuer im Druck und Versand, Verhältnismäßig gering in der Breitenwirksamkeit. Dazu gibt es Webseiten, deren gelegentliche Beiträge sich allerdings zu einem großen Teil auf Ankündigungen oder Kurzberichte über diverse Geschehnisse beschränken. Manche scheinen seit Jahren überhaupt nicht mehr betreut zu werden. Die Aktivitäten auf Facebook-Seiten bewegen sich teilweise unter der Wahrnehmungsgrenze. Alles andere an Kanälen und Möglichkeiten wird praktisch nicht genutzt. Viele Junge haben bereits in den letzten Jahren begonnen die so entstandenen Lücken zu schließen und gezeigt, welch großen Bedarf und auch gleichzeitig welche Möglichkeiten es hier gibt.
Würde es gelingen, die vorhandenen Vereinsstrukturen und die neu formierten Strukturen im Web zusammenzuführen, hätte man eine nie dagewesene Vernetzung. Das, in Kombination mit vielen kleinen, für jüngeres Publikum ansprechenden Veranstaltungen, hätte mehr als ausreichend Potenzial um eine vollkommen neue Dynamik in der Zauberwelt auszulösen. Haben wir in den letzten Jahren eine Spirale erlebt, bei der immer weniger Nachwuchs zu immer weniger Aktivität und das wiederum zu weniger Nachwuchs geführt hat, kann dies aus meiner Sicht durch eine ganz neue Spirale nach oben ersetzt werden. Je mehr Aktivität, umso mehr Nachwuchs, umso mehr Aktivität.
Von 13 angebotenen Ideen zu Zauberklubs landete auf Platz zwei der Umfrage der Wunsch auch Hobby-Zauberern die Möglichkeit zu bieten Mitglied zu werden. Dafür ist ein Zauberklub meiner Ansicht nach auch vorrangig da, besteht er doch in der Regel vor allem aus Amateuren. Zauberei ist ein wunderbar verbindendes Hobby. Man sollte nicht glauben, wie viel Einsteiger ich jede Woche in der Trickbox sehe, die bereits seit Monaten zaubern, aber die ganze Zeit nur mit Youtube verbracht haben. Sie waren selten, oder auch noch nie in einer Zaubershow. Sie haben meist auch noch nie einen anderen Zauberkünstler getroffen. Und es sind nicht nur ein paar. Ganze Schulklassen hat mittlerweile das Zauberfieber in Österreich gepackt. In so manchen Schulen schwappt es auch durchaus auch auf andere Klassen über. Andere wiederum sind durch eines der vielen TV-Show-Formate auf den Geschmack gekommen in denen Zauberkünstler weltweit auftreten. Wieder andere hat einer der vielen magischen Clips erwischt, die derzeit das Netz erobern (siehe auch Virales Marketing in der Zauberei). Ich behaupte, dass es noch nie so viel interessierten Nachwuchs wie heute gegeben hat.
Teure Kongresse oder Workshops gehen allerdings spurlos an ihnen vorbei. Ganz anders sieht es mit kleinen günstigen Seminaren aus, die in der Trickbox stattfinden. Auch bei der Magic Roadshow haben sich bereits die ersten für 10,- Euro angemeldet. Würde es viele kleine interessante Events in den Klubs geben, offen für alle und auch für alle findbar, breit im Web angekündigt, ich bin überzeugt nach und nach würden sich auch diese füllen. Platz fünf und sechs in meiner Umfrage belegte übrigens Seminare mit internationalen Künstlern und internationale Vernetzung. Ich denke es ist ein deutlicher Pfeil für die Richtung in die es gehen soll.
Kaum ein Klub wird die Ressourcen für einen Jugend-, oder gar Kinderklub haben. Aber das ist auch nicht notwendig. Ich denke, wenn es ausreichend Events gibt an denen der Nachwuchs teilnehmen möchte, beziehungsweise kann und man zusätzlich über moderne Kanäle vernetzt ist, werden sie von ganz alleine früher oder später Teil der Zauberszene werden. Davon würde sie profitieren und auch die Szene, die damit nicht einfach nur weiterleben würde, sondern tatsächlich die Chance hätte komplett neu aufzublühen.
Eines ist sicher, die Uhren drehen sich weiter. Auch wenn sich so manch einer hier wünschen würde tatsächlich zaubern zu können, wir können die Zeit nicht aufhalten oder gar zurückdrehen. Aber wir können aktiv die Zukunft gestalten und dafür sorgen, dass es auch in 10 oder 20 Jahren noch eine breite, vielschichtige und faszinierende Klubszene gibt.
Let’s do it! 🙂